Weißrussland – Politik jenseits von links und rechts

Weißrussland Lukaschenko
Bild Lukaschenko: Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres via flickr.com (CC BY 2.0); Bild Alaksiej Dziermant: privat; Bild Weißrussland-Flagge: pixabay; Bildkomposition: Info-DIREKT

Westliche Medienberichte über Belarus sind meist von Vorurteilen geprägt – dabei lohnt sich ein offener Blick in den Nordosten Europas.

Ein Gastbeitrag von Alaksiej Dziermant

Belarus, auf Deutsch wegen eines Übersetzungsfehlers oft „Weißrussland“ genannt, hat nach dem Zerfall der UdSSR im Jahre 1991 einen eigenen Weg eingeschlagen. In seiner eigenständigen Entwicklung unterscheidet sich Belarus von  anderen postsowjetischen Staaten und von westlich geprägten liberalen Demokratien. Leitgedanke ist die Unabhängigkeit als nationale Idee.

Als einzige ehemalige Sowjetrepublik hat Belarus bei den Schockprivatisierungen der 1990er-Jahre nicht mitgemacht, und deshalb keine Oligarchenschicht hervorgebracht. Funktionierende Gesundheits-, Pensions-, Sozial- und Bildungssysteme wurden beibehalten und weiterentwickelt. Während in den 1990er-Jahren in praktisch allen anderen Teilen der ehemaligen Sowjetunion große Teile der Bevölkerung in bittere Armut abrutschten, öffentliche Ordnung und Sicherheit zusammenbrachen und die organisierte Kriminalität überhandnahm, sorgte in Belarus der 1994 zum Präsidenten gewählte Alexander Lukaschenko für Ordnung, Sicherheit, und die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Bürger. Heute kann Belarus eine für Osteuropa sehr niedrige Korruption, gut ausgebaute und instandgehaltene öffentliche Infrastruktur sowie einen florierenden IT-Sektor, insbesondere im Bereich Softwareentwicklung, vorweisen.

Obwohl Minsk nur knappe zwei Flugstunden von Wien entfernt liegt, kommt Belarus in den deutschsprachigen Medien selten vor. Die Abneigung linksliberaler Leitmedien gegenüber dem Land spiegelt sich dann oft im Etikett „letzte Diktatur Europas” wider. Meist werden Themen wie Menschenrechte, Todesstrafe, Gay-Pride-Paraden (die nicht stattfinden) oder Demokratiedefizite behandelt. Dem Land werden seine konservativen Werte, die die Ehe nur zwischen Mann und Frau erlauben, und linke Politik, die den Abverkauf von Staatseigentum an globale Konzerne einschränkt, gleichzeitig vorgeworfen.

Die Einordnung Belarus in eine Schublade fällt daher nicht leicht. Während gerade in patriotischen Kreisen immer wieder ein Aufbrechen des starren und nicht mehr zeitgemäßen Links–Rechts-Denkens diskutiert wird, zeigt Belarus, wie die Synthese in der Praxis funktionieren kann.

Linke Politik in Belarus

Eine der wichtigsten Forderungen mit welchen Alexander Lukaschenko im Jahr 1994 als Außenseiter zur ersten freien Präsidentschaftswahl in Belarus antrat, war der Stopp der Privatisierungen der Staatsbetriebe. Der Grund war einfach: Die Schließung der riesigen Industriebetriebe von Belarus, die auf Produktion für die gesamte Sowjetunion ausgelegt waren, und die damit einhergehende Deindustrialisierung des Landes sowie die Zerstörung von Arbeitsplätzen und Volksvermögen sollte verhindert werden. Der pragmatische Sowchosendirektor und krasse politische Außenseiter Lukaschenko setzte sich mit seiner populistischen Plattform sowohl gegen Kandidaten der bestehenden prowestlichen liberal-nationalistischen Regierung als auch gegen den Kandidaten der alten kommunistischen Bürokratie überraschend deutlich durch.

Entgegen der Empfehlungen westlicher Berater und einheimischer „Geschäftsleute”, wonach die Staatsbetriebe nicht effizient wirtschaften konnten, löste der frisch gewählte Präsident sein Versprechen ein und stoppte die Privatisierungen. Damit der Plan funktionieren konnte, wurde kurz danach eine Zollunion mit Russland gebildet und dadurch der wichtigste Absatzmarkt für belarussische Produkte erhalten. Einige der damals erhaltenen Staatsbetriebe, wie das Minsker Traktorenwerk MTZ, Belaz, Hersteller der größten Kipplaster der Welt für den Bergbau, die Minsker Autofabrik MAZ, aber auch mehrere Molkereikombinate sind heute rentabel und am Weltmarkt erfolgreich. Durch die Erhaltung der Schlüsselindustrien konnten nicht nur Massenarbeitslosigkeit, Armut und soziale Unruhen verhindert, sondern bereits ab dem Jahr 1996 das höchste Wirtschaftswachstum aller ehemaligen Sowjetrepubliken erzielt werden.

Gemeinnutz vor Eigennutz

Eine Besonderheit des belarussischen Universitätssystems ist der obligatorische gemeinnützige Arbeitsdienst mit zweijähriger Dauer für alle Absolventen. Wenn also das Studium solidarisch von den Steuerzahlern, die großteils keinen akademischen Abschluss haben, finanziert wird, muss der Absolvent danach auch etwas an die Gesellschaft zurückgeben. In ihrem jeweiligen Fachbereich werden Absolventen beispielsweise in staatlichen Betrieben oder öffentlichen Einrichtungen eingesetzt. Viele junge Belarussen klagen darüber und empfinden es als ungerecht, allerdings wird hier nur der Solidaritätsgedanke konsequent zu Ende gedacht. Wer von der Gemeinschaft nimmt, muss nachher auch zurückgeben. Wie Jungfamilien in Belarus gefördert werden, lesen Sie im aktuellen Info-DIREKT-Printmagazin.

„Rechte“ Politik in Belarus

Parallel zu den zuvor angeführten großzügigen und gut funktionierenden sozialen Regelungen gibt es in Belarus auch viele politische Aspekte, die eher an rechte Politik erinnern, im aktuellen Info-DIREKT-Printmagazin

Für echte Investoren, die Kapital, Know-how und Arbeitsplätze ins Land bringen, gibt es großzügige Anreize wie Sonderwirtschaftszonen mit besonders niedrigen Steuern und Abgaben, außerdem profitieren sie von vereinfachten Regeln und Vorschriften. Einkommen von natürlichen Personen werden mit einer einheitlichen Flat-Tax von 13 % besteuert, jene von juristischen Personen mit 16 %, Einkommen in Hochtechnologieparks sogar nur mit 9 %.

Traditionelles Familienbild

Traditionelle Werte wie Familie sind in Belarus lebendig. Obwohl als sowjetisches Erbe viele Menschen nicht gläubig sind und das Land im Westen katholisch und im Osten russisch-orthodox geprägt ist, erlebt Religion in Belarus eine Renaissance. Auch der Islam wird von einer kleinen historischen Minderheit von Tartaren sowie von Einwanderern aus Zentralasien und dem Kaukasus praktiziert. Trotz der religiösen Vielfalt gibt es praktisch keine Konflikte zwischen den unterschiedlichen Religionsgemeinschaften, da man sich hauptsächlich über Sprache und Staatsbürgerschaft identifiziert und Religion Privatsache ist.

Ähnlich verhält es sich mit Homosexualität. Sexualität wird als Privatsache betrachtet, die nicht öffentlich zur Schau gestellt werden soll. So ist die Ehe nur für heterosexuelle Paare möglich, allerdings ist Homosexualität nicht gesetzlich verboten. Jedoch wurde wie in Russland ein Gesetz zum Schutz von Minderjährigen beschlossen, wodurch Heranwachsende vor offener Zurschaustellung von Homosexualität geschützt werden sollen. Deshalb werden in Belarus auch keine Gay-Pride-Paraden zugelassen. Die Regierung folgt damit dem Willen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, ohne dabei die Auslebung sexueller Neigungen im Privatleben der Menschen zu beeinträchtigen.

Wie die Belarussen zur Todesstrafe stehen, im aktuellen Info-DIREKT-Printmagazin.

Bewahrung der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit

Wie Weißrussland seine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit bewahrt und auch in Zukunft bewahren will, erfahren Sie ebenso im aktuellen Info-DIREKT-Printmagazin lesen. Am besten gleich ab nur 33,- im Jahr abonnieren!

Über den Autor:

Alaksiej Dziermant, 1979 in Kasachstan geboren. Absolvierte die Akademie für öffentliche Verwaltung des Präsidenten der Republik Belarus. Dziermant ist Philosoph, politischer Analytiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der National Academy of Sciences von Belarus, Mitglied der belarussischen Union der Journalisten, Chefredakteur der Internetportale www.IMHOclub.by und www.SONAR2050.org, Mitglied des Wissenschaftlichen Sachverständigenrats unter dem Vorsitz des Vorstands der Eurasischen Wirtschaftskommission, Experte des analytischen Zentrums der republikanischen öffentlichen Organisation Belaya Rus“.