Mit Spannung wurde erwartet, wen die ÖVP heute als neuen Parteichef präsentieren würde. Die Wahl fiel auf Christian Stocker.
Ein Kommentar von Michael Scharfmüller
Der 64-jährige ÖVP-Generalsekretär war neben Nehammer einer der schärfsten Kritiker von FPÖ-Chef Herbert Kickl. Manche bezeichnen den gelernten Rechtsanwalt sogar als „Kickl-Hasser“.
Braver Parteisoldat
Dass Stocker nun die ÖVP als Juniorpartner in eine Regierung mit der FPÖ führt, gilt daher für viele als ausgeschlossen. Dabei sollte jedoch nicht unterschätzt werden, dass Stocker ein braver Parteisoldat ist und vermutlich genau das tun wird, was ihm aufgetragen wird.
Neuwahlen brächten ÖVP weitere Verluste
Nüchtern betrachtet müsste die ÖVP nun alles daransetzen, gemeinsam mit der FPÖ eine Regierung zu bilden. Klappt das nämlich nicht, wird es ziemlich sicher bald zu Neuwahlen kommen. Bei diesen Neuwahlen würde die ÖVP mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit weiter an Stimmen und damit an Einfluss verlieren.
Derzeit hat die ÖVP nur fünf Mandate weniger als die FPÖ. Nach Neuwahlen würde sich diese Differenz ziemlich sicher deutlich zugunsten der Freiheitlichen verschieben. Die ÖVP wäre damit in einer noch schlechteren Verhandlungsposition.
Hofft ÖVP auf mehr Verhandlungsspielraum nach Neuwahlen?
Nach einer Neuwahl würde der Druck, eine Regierung zu bilden, ziemlich sicher nicht mehr bei Bundespräsident Van der Bellen und der ÖVP liegen, sondern vielmehr bei Herbert Kickl. Aufgrund der ewiggestrigen Engstirnigkeit der SPÖ, die die FPÖ kategorisch ausschließt, müsste sich Kickl mit der ÖVP einigen. Vielleicht erhofft sich die ÖVP dadurch trotz Verlusten eine bessere Verhandlungsposition.
Dass nach Neuwahlen eine Zweierkoalition ohne die FPÖ möglich sein wird, ist so gut wie ausgeschlossen, da nicht nur die ÖVP, sondern auch die SPÖ weitere Verluste einfahren dürfte.
Finanzielle Lage der Parteien
Aus finanzieller Sicht müsste sich die ÖVP der FPÖ eigentlich sofort um den Hals werfen. Nicht nur, weil sie nach der nächsten Wahl noch weniger Parteiförderung erhalten würde, sondern auch, weil sie bereits jetzt auf einem Schuldenberg von über 5,6 Millionen Euro sitzt und Wahlkämpfe bekanntlich teuer sind. In einer ähnlichen Situation befindet sich übrigens die SPÖ, die mit über drei Millionen Euro im Minus sein soll. Die FPÖ hingegen soll über 8,2 Millionen Euro auf der hohen Kante haben.
Keine rationale Entscheidung zu erwarten
Es gibt also viele Gründe, die dafür sprechen, dass die ÖVP nun für eine Regierungsbeteiligung unter Herbert Kickl bereit sein könnte. Politik ist jedoch ein Spielplatz der Eitelkeiten – rationale Gründe darf man deshalb nicht überbewerten. Zudem ist die ÖVP nach den letzten Wahlergebnissen und dem Platzen der Koalitionsgespräche dermaßen waidwund geschossen, dass der gesamte Parteiapparat eher einem aufgeregten Hühnerstall als einer funktionierenden Kommandozentrale gleicht.
Man darf auch nicht vergessen, dass die ÖVP eine globalistisch ausgerichtete Partei ist, die sich um ihr Ansehen am internationalen Bankett und bei der linken Kulturschickeria vermutlich mehr sorgt als um ihren Ruf bei den normalen Österreichern.
Van der Bellen am Zug
Ob es zu Neuwahlen kommt, eine Expertenübergangsregierung gebildet wird oder doch bald eine FPÖ-ÖVP-Regierung entsteht, bleibt spannend. Derzeit wartet alles darauf, was der erfolglose Bundespräsident Van der Bellen zu sagen hat, der Österreich mit seinen Taschenspielertricks in diese Krise geführt hat.