Nach dem Amoklauf in Graz stellt sich nun das ganze Land die Frage nach dem „Warum“, dabei kursieren verschiedenste Theorien und Behauptungen, die leider oft nur an der Oberfläche kratzen oder skurril erscheinen.
Ein Kommentar von Gerwin Lovrecki
Bereits kurz nach der Tat gingen die Diskussionen los, wie so etwas überhaupt geschehen konnte. Eine der ersten reflexartigen Reaktionen kam aus dem linkspolitischen Lager mit der Forderung eines generellen Waffenverbots für Zivilisten. Das lässt den Anschein erwecken, als wären die verwendeten Waffen schuld an dieser Tragödie gewesen. Fakt ist und bleibt aber, die Verantwortung liegt immer bei dem Menschen, der den Abzug drückt. Eine Waffe wird nur in den falschen Händen tödlich. Zudem ist es demokratie- und freiheitspolitisch nicht zu rechtfertigen, alle Bürger unter Generalverdacht zu stellen.
Kurzsichtige Erklärungsversuche
Auch versucht die Presse nun zwischen den Zeilen einen Zusammenhang zwischen dem Tatmotiv und Computerspielen herzustellen. So soll der Täter gerne Ego-Shooter gespielt haben. So wird der Eindruck vermittelt, das diese zu seiner Radikalisierung beigetragen hätten. Wenn man sich jedoch die Fakten ansieht, wird schnell klar, dass das an den Haaren herbeigezogen ist. Hunderte Millionen Menschen auf der ganzen Welt spielen Ego-Shooter und werden trotzdem nicht zu gewalttätigen Straftätern. Das durch Videospiele die Hemmschwelle im echten Leben abgebaut wird, ist ein längst überholter Mythos.
Die aktuell gängigste Theorie ist, dass der Täter durch Mobbing tiefsitzende Traumata erfuhr. Ob dem wirklich so war, ist aktuell noch Teil der Ermittlungen. Er selbst soll eher ein Einzelgänger gewesen sein.
Gesellschaftlicher Verfall
Über einen Umstand wird allerdings auch viel zu wenig gesprochen. Die Entwurzelung und Perspektivlosigkeit junger Menschen in der heutigen Zeit. Psychische Erkrankungen und Instabilität nehmen seit Jahren drastisch zu. Gebeutelt zwischen dunklen wirtschaftlichen Aussichten, potenziellem Krieg, Verlust von Freiheit, ideologischem Wahn und dem Verlust eigener Identität sehen sich viele der jungen Generation scheinbar unüberwindbaren perspektivischen Hindernissen gegenübergestellt. Einer gesamten Generation fehlt der Halt und eine Aussicht auf eine positive erfüllende Zukunft. Das kann ein bedeutender Mitfaktor für erhöhtes Aufkommen von psychischer Labilität und derer Konsequenzen sein. Hier ist die Gesamtgesellschaft gefragt, eine Trendwende zu ermöglichen.
Es geht nie darum, eine Tat zu rechtfertigen. Es geht immer darum, zu verstehen, was in einer Person vorgeht, dass sie zu Derartigem fähig wird. Schuld sind nicht Waffen oder Videospiele, es sind Narben und Erfahrungen die viel tiefer gehen als das. Daran sollte sich auch die Wahrheitsfindung orientieren. Denn auch die Gesellschaft trägt Mitverantwortung alles dafür zu tun, um etwaige Missstände, die solche Entwicklungen begünstigen, zu bekämpfen.
Es gibt keine absolute Sicherheit
Abschließend kann man sagen, dass es die 100-prozentige Sicherheit niemals geben wird. Alles zu kontrollieren oder vorherzusagen, ist nicht nur unrealistisch, sondern endet auch in einem Kontrollstaat und das kann wirklich niemand ernsthaft wollen. Man kann durchaus sinnvolle Maßnahmen setzen, um das Potenzial für solche Gewaltexzesse zu minimieren. Zum Beispiel die Rahmenbedingungen für psychisch instabile Menschen so unterstützend wie möglich zu gestalten oder Behördenzusammenarbeit in solchen Fragen effizienter zu machen. Aber manchmal hilft alles nichts und Psychopathen drehen durch. Komplett verhindern wird sich das niemals lassen. Das mag hart klingen, ist aber die Realität des Lebens.
Weitere Infos
Hier ein „Info-DIREKT Live-Podcast“ mit Florian Machl (Report24) und Michael Scharfmüller (Info-DIREKT) dazu: Hintergrundinfos und Einschätzungen