Ein gefälschter Lebenslauf, verschwundene Akten und manipulierte Protokolle. Die Aufzählung der Anschuldigungen gegen den gerade zurückgetretenen Landesvize der AfD in Nordrhein-Westfalen Klaus Esser lesen sich wie die Handlung eines fiktiven Krimis. Doch die Gefahren für die AfD sind real.
Ein Kommentar von Emma-Maria Grebe
Klaus Esser hat einen steilen Aufstieg in der AfD in Nordrhein-Westfalen (NRW) hingelegt. So schaffte es der vormalige CDUler vom Mitarbeiter der Landtagsfraktion, zum ersten Landesgeschäftsführer und schließlich zum Landtagsabgeordneten, stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und stellvertretenden Landessprecher unter Martin Vincentz. Doch genau dieser Werdegang soll auf Lügen aufbauen, wie neue Berichte nun enthüllen.
Fehlende Studienabschlüsse
Konkret geht es um Essers Studienabschlüsse. Er soll sich 2020 unter Vorlage eines ersten juristischen Staatsexamens und eines Masterabschlusses in Rechtswissenschaften auf die Stelle als Landesgeschäftsführer beworben haben. Bestätigen konnten die betreffenden Universitäten die Erlangung der Abschlüsse durch Klaus Esser auf Nachfrage jedoch nicht. Und auch die in den Bewerbungsunterlagen enthaltenen Zeugnisse werfen Fragen auf: Es fehlen Dienstsiegel, Prüfungsnummern, Verantwortliche sind falsch bezeichnet und Unterschriften weichen ab. Hinzu kommt, dass zwei der drei im Lebenslauf aufgeführten ehemaligen Arbeitgeber bestreiten, dass Klaus Esser jemals in ihrem Betrieb tätig war. Inzwischen wurden zwei Strafanzeigen gegen Klaus Esser bei der Staatsanwaltschaft Aachen gestellt.
Billige Ausrede?
Esser selbst lässt die Anschuldigungen über seine Anwälte abstreiten. Es könne kein Masterzeugnis existieren, da er nie ein Masterstudium absolviert habe. Die Bewerbungsunterlagen seien von Dritten gefälscht, um ihm zu schaden und die E-Mail, von der sie damals verschickt wurden, sei bereits vor zehn Jahren gehackt worden. Aufgeklärt wird der Sachverhalt damit nicht. Weder äußert sich Esser zu den Zweifeln an seinem juristischen Staatsexamen noch erklärt er, warum er sich selbst in zahlreichen E-Mails als „Klaus Esser, Jurist LL.M.“ und in mehreren seiner Beiträgen als „Jurist“ bezeichnet hat.
Personalakte plötzlich verschwunden
Dabei könnte man meinen, solche Anschuldigungen seien schnell aus der Welt geräumt. Klaus Esser könnte einfach seine Abschlüsse vorzeigen und schon würde sich der Skandal in Luft auflösen. Stattdessen zieht dieser immer größere Kreise. So sollen sowohl die Personalakte von Esser als auch seine Bewerbungsunterlagen für die Kandidatur zum nordrhein-westfälischen Landtag aus der AfD-Landesgeschäftsstelle verschwunden sein. Schlampige Buchhaltung oder der Versuch, Beweise zu vernichten?
AfD-NRW-Chef Vincentz hält Esser die Stange
Derweil scheint der Fraktionsvorsitzende und Landessprecher Martin Vincentz nicht sonderlich um Aufklärung bemüht. Man beschränkt sich darauf, Kooperationsbereitschaft mit den Behörden zu erklären, die Unschuldsvermutung auszusprechen und ist sich sicher, „dass Klaus Esser die gegen ihn erhobenen Vorwürfe aufklären wird“. Bisher hat er das nicht. Zwar ist Esser von seinen Ämtern in der Fraktion und im Landesvorstand zurückgetreten. Sein Amt als Kreissprecher behält er jedoch genauso wie sein Landtagsmandat und einsichtig zeigt er sich weiterhin nicht. Stattdessen spricht er die Schuld an dem Skandal „destruktiven Personen aus dem Inneren“ zu.
Manipulation von Mitgliedsaufnahmen
Wen er damit meint, bleibt unklar. Dabei kann man vor allem Essers Verhalten als destruktiv bezeichnen. Erst kürzlich hat die AfD-Bundesgeschäftsstelle Klaus Esser die Manipulation von Mitgliedsaufnahmen in zweistelliger Höhe nachgewiesen. Esser soll demnach Personen unter Scheinadressen als Mitglieder in seinem Kreisverband aufgenommen haben, die dort gar nicht wohnhaft seien. Dass das keine bloße Bagatelle ist, zeigt sich anhand eines Beispiels: Je mehr Mitglieder ein Kreisverband hat, desto mehr Delegierte kann er zu einem Landesparteitag entsenden. Kommt es dort zu knappen Abstimmungsergebnissen, wie sie gerade bei der AfD nicht unüblich sind, können die manipulierten Mitgliedsaufnahmen im Nachgang zur Ungültigkeit des gesamten Parteitages führen. Für alle im Text genannten Personen gilt die Unschuldsvermutung.
Gefahr für Bundestagswahl
Mit Hinblick auf die anstehende Listenaufstellung für die Bundestagswahl kommendes Jahr sollten hier bei den Verantwortlichen die Alarmglocken klingen. Würde die Listenaufstellung im Nachgang für ungültig erklärt, könnte die AfD NRW bei der kommenden Bundestagswahl wohlmöglich nicht antreten. Dann müsste sich der Landesvorstand der AfD NRW nicht nur für hämische Kommentare seitens der Altparteien verantworten, sondern auch der eigenen Basis erklären, warum das größte Bundesland keine AfD-Kandidaten in den Bundestag senden könne und aktuell rund eine Millionen Wähler ohne Stimme blieben.
Bundesparteivorstand bisher tatenlos
Dass das nicht ausgeschlossen ist, hat die Bremer AfD eindrucksvoll gezeigt. Dort haben interne Zerwürfnisse und Machtkämpfe den Antritt zur Landtagswahl verhindert. Eine Mitschuld daran trägt auch der AfD-Bundesvorstand, der es verpasste, rechtzeitig ordnend einzuschreiten. Auch zu den Vorgängen in NRW vernimmt man von höchster Ebene bisher nichts. Es wird sich zeigen, ob die AfD in der Lage ist, in ihren eigenen Reihen für Ordnung zu sorgen oder ob ein zweites Bremen bevorsteht – nur diesmal nicht im kleinsten, sondern im größten Bundesland. Die Altparteien dürften darauf hoffen. Nun liegt es an den Verantwortlichen in der AfD, diese Hoffnungen zunichtezumachen.
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Nachtrag, 9.8.2024, 15 Uhr: Klaus Esser ist nun auch als Kreissprecher der AfD Düren zurückgetreten.