Fast schon Jubelstimmung herrschte innerhalb der AfD, als bekannt wurde, dass ihr Bundestagsabgeordneter Rüdiger Lucassen zur ZDF-Sendung „Lanz“ eingeladen wurde. Die Freude war jedoch verfrüht!
[Ergänzung, vom 14. April 2023: Mittlerweile hat sich Lucassen für die Angriffe auf seine Parteikollegen entschuldigt. Seine ganze Stellungnahme lesen Sie am Ende des Textes.]
Ein Kommentar von Michael Scharfmüller
Jeder, der sich auch nur etwas mit Politik beschäftigt, weiß, dass Politiker der AfD zu großen TV-Formaten nur eingeladen werden, wenn man der einzigen tatsächlichen Oppositionspartei im deutschen Bundestag damit schaden kann. Und genau das ist dem ZDF mit der Sendung „Lanz“ gestern Abend wieder einmal geglückt. Wenige Stunden nach der Sendung, genauer gesagt um 01:39 Uhr, also mitten in der Nacht, feierte „ZDF heute“ dies auch mit der Schlagzeile:
„Russland-Propaganda: Lucassen wirft AfD-Kollegen ‚Volksverrat‘ vor“
Nun kann man sich als Patriot natürlich darüber beklagen, dass ZDF und Co. die AfD ungerecht behandeln. Man könnte aber auch endlich aus den eigenen Fehlern lernen und für Auftritte in etablierten Medien eine ordentliche Taktik vorbereiten, die über NLP-Tricks hinausgeht. Ziel müsste es sein, die Positionen der eigenen Partei einem breiten Publikum näher zu bringen, anstatt sich auf Kosten eigener Parteifreunde zu distanzieren und anzubiedern. Aber der Reihe nach:
Der stets parteiische Moderator Markus Lanz lud in seine ZDF-Sendung die beiden Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter (CDU) und Rüdiger Lucassen (AfD). Schon alleine diese Einladungspolitik, mit zwei Oppositionspolitikern, ist interessant und sicherlich kein Zufall.
Starker Beginn von Lucassen
Zu Beginn der Sendung vertrat Lucassen die Positionen der AfD ruhig und bestimmt – von unterschwelligen Angriffen ließ er sich nicht beirren. So klärte er u.a. darüber auf,
- dass die USA nicht die Interessen Deutschlands vertrete
- dass die CDU die Bundeswehr kaputt gespart und geplündert habe
- dass der Krieg in der Ukraine eine lange Vorgeschichte habe
- dass man Deutschland militärisch und, was die wehrtechnische Industrie betrifft, wieder verteidigungsfähig machen müsse
- dass sich die AfD gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen habe
ZDF-Einladung erhält nur, wer der AfD schaden könnte
Markus Lanz zeigte sich über diese klare Positionierung des AfD-Politikers verwundert. Daraus, dass er sich etwas anderes erhofft hatte, machte er auch kein Geheimnis:
„Sie sind uns aufgefallen, durch Interviews, die so diametral entgegengesetzt sind, zu dem, was ihre Partei sonst so macht?“
Daraufhin lächelte Lucassen. Wie dieses Lächeln zu werten ist, fällt ins Reich der Spekulationen. Fakt hingegen ist, dass sich ca. ein Drittel Sendung nur um die Innenansichten der AfD und nicht um Deutschlands Außenpolitik drehte. Interessant daran ist auch, dass Lanz dem eingeladenen CDU-Politiker keine einzige wirklich kritische Frage stellte.
Von einer Distanzierung zur nächsten Distanzierung
Stattdessen befragte Lanz Lucassen ausführlich zu Parteikollegen, mit denen der AfD-Politiker nicht immer einer Meinung ist. Markus Lanz erste Frage dazu:
„Steffen Kotré, sagt Ihnen der etwas?“
Anstatt diese völlig offene Frage zu Gunsten seiner Partei zu beantworten, machte Lucassen genau das, was von ihm erwartet wurde: Er distanzierte sich von Kotré. Dabei hätte es die völlig offene Frage erlaubt, sofort Kotrés positive Leistungen und alle Gemeinsamkeiten mit ihm hervorzustreichen. CDU-Mann Kiesewetter nutzte diese Distanzierung, um sich wieder ins Gespräch zu bringen und die Frage zu stellen:
„Wie gespalten ist Ihre Partei?“
Genau diese Frage dürfte das Ziel der Sendung auf den Punkt bringen: Die AfD als zerstrittenen, gespaltenen und unzuverlässigen Haufen darzustellen – und daneben die CDU als tolle Alternative zur Ampel und zur AfD zu präsentieren. Der Frage von Kiesewetter entgegnet Lucassen, dass er stolz darauf sei, dass innerhalb der AfD verschiedene Meinungen zugelassen wären. Ganz ernst dürfte es Lucassen mit diesem „Stolz“ jedoch nicht meinen, wenn er sich von Parteifreunden mit anderen Ansichten distanziert oder diese sogar kriminalisiert – wie im Fall von AfD-Bundestagsabgeordneten Eugen Schmidt.
Kritik an Regierung für Lucassen „so etwas wie Volksverrat“
Konkret wurde Lucassen von Lanz vorgeworfen, dass Schmidt in einem russischen TV-Sender die deutsche Regierung kritisierte. Lucassen stellte dazu klar, dass es Aufgabe einer Oppositionspartei sei, die Regierung und die hohe Inflation zu kritisieren. Seine eigene Aussage schränkte er jedoch im nächsten Satz schon wieder ein:
„Wenn man das natürlich in diesem Kriegszustand in Russland macht, dann (…) könnte man auch zur Auffassung gelangen, dass das so etwas wie Volksverrat ist.“
Markus Lanz mimte daraufhin den Überraschten:
„Volksverrat?“
„Ja, natürlich,“, bekräftigte Lucassen seine Aussage und begründete dies so:
„Das, was den Zusammenhalt in Deutschland, in unserer Republik, ermöglicht, jetzt preiszugeben, bei jemandem, den wir auch als AfD eines völkerrechtwidrigen Angriffskriegs anklagen, das ist in jedem Fall … ähm [hier unterbrach Lanz den nach Worten suchenden Lucassen].“
Oberst a.D. ohne Gegenwehr
Lanz gab sich mit dieser Kriminalisierung der AfD durch einen AfDler nicht zufrieden. Der ZDF-Moderator dürfte nämlich wissen, wer sich einmal distanziert hat, distanziert sich auch ein weiteres Mal. Deshalb brachte er nochmals ein Zitat von AfD-Bundestagsabgeordneten Eugen Schmidt. Dieser soll gegenüber einem Radiosender gesagt haben:
„Es gibt keine Demokratie in Deutschland. Andere politische Meinungen werden mit allen möglichen Mitteln unterdrückt.“
Anstatt zu begründen, weshalb sein Parteikollege eine solche Aussage getätigt haben könnte und zu erklären, wie die AfD und andere patriotische Gruppen durch etablierte Medien, den politisch motivierten Verfassungsschutz und Antifa-Gewalttäter bekämpft werden, lächelte Lucassen, der Oberst der Bundeswehr a.D. ist, nur. Kameradschaftlicher Zusammenhalt und Kampfgeist sehen anders aus, genau diese Eigenschaften bräuchte es aber, um gegen eine feindselig gestimmte Medien- und Politschickeria bestehen zu können.
Markus Lanz merkte, dass von Lucassen an diesem Abend keine Gegenwehr mehr zu erwarten war. Deshalb ließ der ZDF-Mann seiner Empörung über den AfD-Politiker Eugen Schmidt freien Lauf:
„Da sitzt ein Typ im deutschen Bundestag, der sagt, es gibt keine Demokratie in Deutschland, der ist demokratisch gewählt, der lebt vom Geld deutscher Steuerzahler und sagt, es gibt keine Demokratie in Deutschland – das ist doch eine Schande!“
Lucassens enttäuschende Antwort darauf:
„Ja, ich habe Ihnen ja gerade gesagt, was ich dazu zu sagen habe.“
Womit sich Lucassen vermutlich auf seine „Volksverräter“-Aussage bezog. Lanz hat kapiert, „wer sich distanziert, verliert“ und legte den in die Defensive geratenen AfD-Politiker den Partei-Austritt nahe:
„Wenn Sie einer von den Aufrechten sind, Herr Lucassen, und dann in dem Punkt nicht der Moment gekommen ist, wo man sagen müsste, weißt du was, dann ist das nicht mehr mein Laden.“
Wie aus dem Lehrbuch: Salami-Taktik
Diese schrittweise Vorgangsweise von Lanz legt offen, wie man sich mit Distanzierungen selbst schadet. Der Aufforderung nach Distanzierung von Positionen und Personen der eigenen Partei folgt logischerweise die Frage, was man als „Aufrechter“ in einer „bösen“ Partei wie der AfD noch zu suchen habe? Patrioten, die ihr eigenes Umfeld mit Distanzierungen kriminalisieren, sollten endlich begreifen, dass sie dadurch nicht als vernünftige Stimmen wahrgenommen werden, sondern sich damit auch selbst in höchst unprofessionelles Licht rücken.
Distanzierungen und Anbiederungen werden seit Jahren dazu verwendet, um Parteien wie die AfD und die FPÖ zu schwächen. Erst kürzlich verriet SPÖ-Urgestein Josef Cap bei Servus-TV, dass man aus taktischen Gründen nicht alle FPÖler in einen Topf werfen solle. Man solle die farblichen Nuancen in der Partei wahrnehmen und gezielt nutzen, um Patrioten untereinander besser ausspielen zu können. In diesem Licht ist auch das Lob von CDU-Kiesewetter für das unkameradschaftliche Verhalten an Lucassen zu verstehen:
„Sie haben sich distanziert, das ehrt Sie!“
Von ZDF-Mann Lanz gab es hingegen trotz der heftigen Distanzierungen keinen Applaus. Er nutzte seine letzten inhaltlichen Worte, um den AfD-Politiker als unehrlich darzustellen, indem er ihm ein Zitat vorlas, das Lucassen einige Minuten vorher noch als falsch bezeichnete. So endete ein für den ZDF und die CDU erfolgreicher TV-Abend. Bleibt zu hoffen, dass die AfD aus solchen Auftritten lernt. Beispiele, wie man als Patriot erfolgreiche TV-Auftritte absolviert, gibt es zum Glück. Hier nur zwei davon:
Stimmen zum Lucassen-Auftritt bei „Lanz“:
Politikwissenschaftler und Autor Benedikt Kaiser schreibt auf seinem Telegram-Kanal dazu:
„Es sollte Konsens sein, dass man sich vom Öffentlich-Rechtlichen nicht als Rammbock gegen die eigene Parteimehrheit nutzen lässt. Dieser Konsens wurde gebrochen. Und das mitten im Umfragehoch!“
Freilich-Redakteur Bruno Wolters kritisiert Lucassen auf Twitter für die Verwendung des Begriffs „Volksverräter“. Nach der Logik mit der Lucassen diesen Begriff verwendet, wären nämlich
„alle AfD-Politiker während der problematischen Corona-Pandemie Volksverräter gewesen, weil sie sich gegen die Impfneurose gewehrt haben, die doch erst den ‚Zusammenhalt‘ ermöglicht hat.“
Wolters weiter:
„Wenn ‚Volk‘ für Lucassen nur die veröffentlichte Meinung und ihre Anhänger bedeutet, dann wundert es mich nicht, dass er bei Lanz sitzt. Böse Zungen nennen sie auch ‚Feindzeugen‘.“
Wenig überraschend kritisieren auch die „Freien Sachsen“ das Verhalten von Rüdiger Lucassen:
„Was ist nur mit dieser Partei los? Der AfD-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Lucassen hat ausgerechnet die GEZ-Propagandasendung von Markus Lanz am Mittwochabend im ZDF genutzt, um Oppositionelle, die russischen Fernsehsendern ein Interview geben, als „Volksverräter“ zu bezeichnen.“
Entschuldigung von Lucassen
Ergänzung, vom 14. April 2023: Auf seiner Facebook-Seite hat sich Rüdiger Lucassen bei den von ihm in der Sendung angegriffen Kollegen entschuldigt. Hier seine ganze Stellungnahme:
„Liebe Freunde und Mitglieder der AfD,
nach meinem Auftritt in der Sendung Markus Lanz am vergangenen Mittwoch habe ich viele Zuschriften und Anrufe bekommen. Über die Reaktionen zu den inhaltlichen Positionen, die ich dort vertrat, habe ich mich sehr gefreut.
Am Ende der Sendung wurde ich mit Interviews meiner beiden Kollegen Steffen Kotré und Eugen Schmidt konfrontiert, die diese in russischen Fernsehsendern gaben. Zu den Inhalten dieser Interviews und der Tatsache, dass sie russischen Sendern gegeben wurden, gibt es in unserer Partei sehr unterschiedliche Auffassungen. Allerdings haben mich auch viele Mitglieder, besonders aus meinem Landesverband NRW, auf ein bestimmtes Wort angesprochen, dass ich dort gebraucht habe: Nämlich das Wort „Volksverräter“.
So zustimmend die Reaktionen auf meine inhaltliche Positionierung in der Sendung waren, so eindeutig waren sie allerdings auch in Bezug auf das Wort „Volksverräter“. Die übergroße Mehrheit der Mitglieder, mit denen ich sprach, war sich einig: Das Wort ist falsch und ehrabschneidend. Parteimitglieder als „Volksverräter“ zu bezeichnen, ist überzogen und falsch. Ich habe darüber nachgedacht und bin rasch zu dem Schluss gekommen: Sie haben Recht. Meine Reaktion war falsch.
Liebe Freunde und Unterstützer, nichts lehne ich mehr ab, als sich zu winden und herauszureden. Im Eifer des Gefechts passieren Fehler. Dennoch bin ich für meine Wortwahl verantwortlich. Und deshalb habe ich mich entschieden, meinen Fehler öffentlich einzugestehen und dafür um Verzeihung zu bitten.
In besondere Form möchte ich mich allerdings bei den Kollegen Kotré und Schmidt entschuldigen. Beide werde ich bei nächster Gelegenheit auch persönlich um Entschuldigung bitten.
Ihr und Euer Rüdiger Lucassen“